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Hochhuth rechnet mit Schäuble abVon Christoph Schult
Der Schriftsteller Rolf Hochhuth hat Wolfgang Schäuble bei einer CDU-Veranstaltung jegliche Qualifikation für das Amt des Staatsoberhaupts abgesprochen. Der heutige Fraktionsvize habe mitgeholfen, Ostdeutschland bei der Wiedervereinigung auszuplündern. Hochhuth empfahl der Partei, "endlich eine Frau zur ersten Bundespräsidentin zu machen".
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Schriftsteller Rolf Hochhuth: Er findet es "unheilvoll", dass Wolfgang Schäuble Staatsoberhaupt werden möchte
Berlin - Seine Kritik an Schäuble begründete der Schriftsteller mit dessen Rolle als Architekt der Deutschen Einheit. Schäuble sei federführend gewesen, als die Regierung Kohl "grünes Licht gab zur Ausplünderung Deutschlands zwischen Werra und Oder", sagte Hochhuth am Montagabend im Berliner Alliiertenmuseum bei einer Veranstaltung.
Der 72-jährige Schriftsteller war vom "Forum Kultur" der Berliner CDU und vom Berliner CDU-Ortsverband Dahlem zu einem Vortrag eingeladen worden. In seiner Rede, die unter dem Titel "Bismarck, Schäuble und die Arbeiter" stand, lobte er den ersten deutschen Reichskanzler für dessen Sozialpolitik. Schäuble dagegen habe das Volksvermögen der DDR-Bürger mit Hilfe der "Treuhand" ausverkauft und die Ostdeutschen zu Parias gemacht.
Keinem Ossi sei das Kapital geblieben, "auch nur einen Milchladen zu kaufen", so Hochhuth. Es sei unheilvoll, dass Schäuble "Staatsoberhaupt dieser von ihm Entrechteten werden will". "Wer das federführend verantwortet hat, Herr Schäuble, hat so gehandelt an seiner Nation, dass er Gott danken soll, auf freiem Fuß zu bleiben", so der Schriftsteller.
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Hat nach Hochhuths Meinung 17 Millionen Ostdeutschen das "Recht auf Arbeit" geraubt: Wolfgang Schäuble
Schäuble sei es auch gewesen, der "den DDR-Deutschen 'Das Recht auf Arbeit' aus ihrer Verfassung gestrichen hat", sagte Hochhuth und fragte: "Was würden Münchner sagen, wäre dem Herrn Schäuble der Einfall gekommen, den Bayern ihr seit 1946 verbrieftes Recht auf Arbeit aus der Verfassung zu streichen, so wie Schäuble es den 17 Millionen Ossis geraubt hat?"
Man dürfe sich nicht nur darauf beschränken, allgemein die Missstände zu beschreiben, man müsse auch die politisch Verantwortlichen nennen, rechtfertigte sich Hochhuth für seine harschen Worte. "Was todernst wird, das muss ad personam demonstriert werden, sonst bleibt es nur das unverbindliche Problem aller."
"Gesinnungsethiker brauchen wir in Deutschland"
"Warum kommt die CDU nicht auf ihre gute Idee zurück, endlich eine Frau zur ersten Bundespräsidentin zu machen?", fragte Hochhuth die rund hundert Zuhörer. "Auch heute wird sich in unserer Nation eine Frau wie Hamm-Brücher oder Süßmuth finden."
Der Gastgeber des Abends, der Berliner CDU-Politiker Uwe Lehmann-Brauns, sagte, er persönlich wünsche "von ganzem Herzen und mit dem ganzem Kopf, dass Wolfgang Schäuble Bundespräsident wird". Er habe Hochhuth aber eingeladen, weil er diesen sehr schätze. "Einen Schriftsteller, der Gesinnungsethiker ist, brauchen wir in Deutschland", sagte der CDU-Mann.
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In der anschließenden Diskussion machten sich nur wenige Redner für Schäuble stark. Auffallend war vor allem, dass der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und heutige kulturpolitische Sprecher der CDU im Bundestag, Günter Nooke, nicht das Wort ergriff.
Dagegen sagte Harald Strunz, Vorsitzender des Berliner Landesverbands des Bundes Stalinistisch Verfolgter, Schäuble habe sich bei den Verhandlungen über die Wiedervereinigung über den Tisch ziehen lassen. "Es ist ein ungeheuerlicher Skandal. Schon deshalb ist Herr Schäuble unqualifiziert." Zudem sei Schäuble durch seine Rolle in der CDU-Spendenaffäre belastet. "Ein solcher Mann sollte sich zurückhalten und sich an einen hinteren Tisch setzen", forderte Strunz.
Hochhuth hat mit seinen Werken schon oft politische Missstände angeprangert. Heftige Diskussionen löste er 1963 mit seinem Theaterstück "Der Stellvertreter" aus. Darin stellte Hochhuth die Frage, ob Papst Pius XII. und die katholische Kirche durch ihr Schweigen eine Mitschuld an der Vernichtung der Juden durch das Nazi-Regime treffe. Der "Stellvertreter" wurde ein Welterfolg.
Auch sein Schauspiel "Juristen" aus dem Jahr 1979 löste einen Eklat aus. Darin beschäftigte sich Hochhuth mit dem baden-württembergischen CDU-Ministerpräsidenten Hans Filbinger, den er einen "furchtbaren Juristen" nannte. Filbinger musste zurücktreten, weil er als Marinerichter während der Nazi-Zeit auch Todesurteile verhängt hatte.