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Autor Thema: Walter Ulbricht ist Tot
poetpoet

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@wilhelminus: nananana, welch intellektuellen Hochmut höre ich da raus... Ich stamme als Akademiker von ordinären Proleten (also einfachen Proletariern) ab - übrigens auch eine deiner Professorinnen (du weisst schon... ) . Meine Frau und ich sind die ersten aus unseren Stämmen, die Abitur machen KONNTEN. Und ich muss deutlich sagen: Machtgeilheit steht in keinem Zusammenhang zur Bildungsschicht, nicht mal zur Intelligenz. Und wenn du mal mit den Hierarchen der sächs. Landeskirche (und allen anderen auch) beruflich zu tun haben wirst, wirst du schon noch am eigenen Leib spüren, dass Akademiker durchaus in der Lage sind, herrschsüchtige, intolerante (jetzt fällt mir grad kein geeignetes Substantiv ein...) zu sein...

Nachspruch: Ja, ich bin froh und stolz auf meine "Abstammung"...

[Bearbeitet von poetpoet (12-04-2006 - 13:46)]

Deluxe

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Ulbricht war Proletarier - einverstanden. Aber er war kein Prolet - schon gar kein ordinärer. Es sei denn, man betrachtet das Wort "ordinär" mal in diversen Fremdsprachen, wo es mit "normal" oder "durchschnittlich" übersetzt wird...

Ulbricht war Jahrgang 1893, hatte die Bildungswege der Arbeiterkinder beschritten. Woher sollte da großes humanistisches Bildungswerk kommen?

Wir befinden uns allesamt in der Position der (vermeintlich) klügeren. Das Glück der späten Geburt. Keiner von uns weiß wirklich (außer aus der Literatur), wie das Leben dieser Arbeiter damals aussah. Wir haben weder Hunger, Hinterhofkindheit, 20 Personen in einem Zimmer, Nazireich noch Kriege am eigenen Leibe erleben müssen - und was die Ausbeutergesellschaft angeht bewegen wir uns erst jetzt langsam wieder in Richung 19. Jahrhundert. Manche werden es noch feststellen, wenn der Kapitalismus zupackt ujnd mal den eigenen Lebensweg erfaßt...

Außerdem beurteilen wir Geschichte und Personen immer aus der Perspektive derer, die bereits wissen daß der Sozialismus gescheitert ist.

Und nun versetze man sich mal in die Lage eines Achtklassenschülers des Abschlußjahrgangs 1907, der atheistisch und in Armut aufgewachsen, Kirchen und Schlösser immer nur als den Prunk der Ausbeuter und Feinde kennenlernen konnte. Der ist (verständlicherweise) Kommunist, schafft es sogar zum Reichstagsabgeordneten der KPD, erlebt 2 Kriege die ihm auch immer nur als Kriege der Fabrikherren erklärt wurden, und bekommt hinterher plötzlich Macht.

Hat Ideale (das zumindest kann man ihm unterstellen) und fehlendes Verständnis für Kulturgeschichte, will seine Version von vermeintlicher Moderne zum Wohle der Menschen durchsetzen - egal wie.

Natürlich fällt ein solcher Mensch, der ganz fix von seiner eigenen Macht eingelullt wird un an ihr erblindet, Entscheidungen wie Paulinerkirche & Co.

Man kann darüber gern diskutieren. Dafür oder dagegen ist schnell entschieden. Aber warum man gerade Ulbricht immer nur auf Berliner Schloß, Pauliner- und Sophienkirche reduziert, will mir nicht ganz eingehen. Mann kann doch gern zu dem Schluß kommen, er sei ein Verbrecher an der Menschheit gewesen. Sollten aber ausschließlich die genannten 3 Gebäude zu diesem Schluß führen, darf man über die eigene Entscheidungsfindung und Urteilskraft ruhig nochmal nachdenken...

So - das hier soll kein Pro-Ulbricht-Referat sein. Und meine Meinung zur Paulinerkirche hebe ich mir für den nächsten Beitrag auf. Aber mich stört (mal wieder) die Einseitigkeit der Btrachtung. Aber die gibts ja genaugenommen bei der gesamten DDR-Geschichtsbetrachtung. Für manche besteht die "Zone" ja tatsächlich nur aus Stasi und Trabant...

das moss

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und aktuell auch viel ALG 2.....
das moss

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Welche eigentlich...... Amerikaischer Sektor?? Britischer?? Bizone? Trizone??
limokombi

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@ deluxe

Du erklärst wie aus Ulbricht das geworden ist, was er war, und das ist zweifelfrei richtig so!

Aber: Das ändert an seinen Handlungen doch in keinster Art und Weise etwas! Auch Kinderschänder und Raubmörder haben zumeist eine schlechte Kindheit hinter sich... rechtfertigt das aber ihre Taten???
Außerdem sind es sehr wohl nicht nur die drei Gebäude an denen ich sein Handeln beurteile, sie sind aber sehr repräsentativ, und daher auch für den "Nichtvertrauten" nachzuvollziehen. Wenn Ideologie soweit geht, das Gebäude dafür "haften" müssen, ist die Abartigkeit halt sehr deutlich. Auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die Ulbricht (und beileibe nicht nur der) begangen haben, bin ich nicht eingegangen, weil das jedem so klar sein dürfte, und eine Diskussion daher unnötig macht...

PS.: "Für manche besteht die "Zone" ja tatsächlich nur aus Stasi und Trabant... "

Tja, dafür gibt es Andere, die sehen im Kaiserreich nur Kadavergehorsam und Adel, Kirche und Arbeiterelend...

U_N_Bekannt

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Wirklich objektiv ist wohl nur ein Holzklotz (stellvertretend für jedes andere Ding) ohne Ideale, Ziele und Wünsche, Erfahrungen, Loyalitäten...

So ist auch meine Sicht auf Ulbricht von Kindheit an geprägt durch meine Eltern, die als Pastoren außer der Gebäudestürmerei auch noch einige andere negative Dinge über die Regierung Ulbricht erfahren und erleben mussten. Da fällt mir z.B. eine stille traurige Frau ein, die einige Jahre immer mal wieder bei uns übernachtete, wenn sie ihren am Anfang gerade achtzehnjährigen Sohn im Gefängnis unserer Stadt besuchte. Der hatte lediglich im Kreise seiner Freunde über die Regierung und die offensichtlichen Missstände gelästert und einer der Freunde war dann keiner...

Aber natürlich ist kein Mensch nur ganz gut oder ganz schlecht. Allerdings hat Ulbricht seine guten Seiten vor uns recht gut verborgen (bis auf die Bananen).

[Bearbeitet von U_N_Bekannt (12-04-2006 - 16:12)]

standard

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Immerhin hat er - neben der tatsächlich fragwürdigen Sprengung besagter Bauwerke - auch durchaus schicke Sachen wie den Berliner Fernsehturm bauen lassen. Alles hat wie immer seine 2 Seiten...
Deluxe

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Da gehen sie gleich wieder auf die Barrikaden...dabei wollte hier doch keiner Bilderstürmer oder gar Kulturbanause sein. Und geschichtliche Bildung ist doch irgendwie auch Kultur...oder?

Das Problem der Bewertung dieser ganzen Vorgänge ist, daß wir sie von der verkehrten Position aus beurteilen. Nämlich aus der Position derer, die die ganze Geschichte bis zum Schluß kennen.
Wir wissen daß die sozialistischen Ideale nicht aufgegangen sind.
Der Erhalt von Kulturdenkmalen wird heute ebenfalls insgesamt für wichtiger gehalten als vor 40 oder 50 Jahren - und zwar hier wie dort. Gerade im Bereich Denkmalschutz, historische Bausubstanz usw. gabs hüben wie drüben bösen Frevel. Erst in den letzten 30 Jahren ist hierfür mehr Feingefühl entstanden - das hat nur bedingt mit Ideologie zu tun. Natürlich spielte sie bei Ulbricht eine große Rolle - aber eben nicht die alleinige.

Und dann möchte ich eins wissen:

Welchen Nutzen würde uns eine neue Paulinerkirche bringen für die man ein gar nicht mal so übles Universitätsgebäude abreißen muß UND die nichts anderes als eine Kopie des Originals wäre? Eine Gemeinde dafür gibts nicht (mehr), als Hörsaal vielleicht oder als Aula? Oder als Übungsraum für die theologische Fakultät? Ganz schön viel Aufwand für so wenig...

Das unterscheidet das Paulinerprojekt nämlich von der Dresdner Frauenkirche:
Zum einen mußte man für die Frauenkirche nichts eigentlich Brauchbares abreißen, zum anderen wurde reichlich Originalmaterial wiederverwendet und soweit es ging erhalten. In Leipzig passiert das ganze Gegenteil.

Und eins sehe ich nicht ein: daß die vermeintliche Siegerepoche sich immer und immer wieder an den Bauten der Verliererepoche vergreift. Dahingehend unterscheidet sich die neue Bundesrepublik durch nichts von der Ära Ulbricht. Stichwort Plattenbauten, Palast der Republik, Messehäuser in Leipzig u.v.m. Ein Schelm, wer darin so gar keine Ideologie wiederfinden will...besonders beim PdR...

CASI

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Nur mal so zum Thema Bauwahn und Zerstörung historischer Bauten.
Die Stadt Gütersloh hatte einmal ein schönes Rathaus:

Irgendwann in den 60´ern musste dann ein neues Rathaus her und das alte wurde abgerissen. Dort steht heute ein abgrundtief häßlicher Karstadt Klotz: (früher Hertie)

Ein neues Rathaus musste natürlich auch her.
Der Architekt hat bei der Planung des Baus wohl kräftig beim Klassenfeind abgekupfert:


Dieser Zerstörungs und Bauwahn zog sich in den 60´ern und 70´ern durch das gesamte Altbundesgebiet und viel Historische Substanz ging verloren. Dagegen blieb im Osten noch recht viel erhalten, auch wenn der Spitzbart mal nen Radikalschlag verordnet hat.
Das der PDR nun abgerissen wird, finde ich auch nicht gut. Der gehört meiner Meinung nach genauso zu Börlin, wie die Siegessäule, der Fernsehturm, oder das BRB Tor, etc.
In der Vergangenheit sind in West, wie Ost viele Fehler gemacht worden und werden es noch immer. Ändern können wir leider nichts daran.

[Bearbeitet von CASI (12-04-2006 - 20:19)]

Deluxe

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Richtig. Und wenn die Lösung für solche Probleme heute, wo es eigentlich alle besser wissen müßten und sollten, darin besteht, intakte und nützliche Nachbebauung niederzureißen nur weil sie ihren Ursprung in der DDR hat, um hernach das alte als Betonkopie wieder hochzuziehen, dann greife ich mir - mit Verlaub - wirklich nur an den Kopf. Das gilt für die Paulinerkirche und besonders fürs Berliner Stadtschloß.

Was die Sophienkirche betrifft:
Der Freßwürfel war mal eine gute Sache - rein inhaltlich. Optisch und städtebaulich wars eine Schande fürs historische Dresden.

Die gleichen Maßnahmen wie damals, um die Maßnahmen von damals mit den Maßnahmen von damals wieder zu "korrigieren". Das ist die Quintessenz. Weil man sich heute kraft der Wassersuppe des Geschichtsverlaufs nicht nur für klüger, sondern für die rechtmäßigen Pächter der allheiligen reinen wahren Lehre hält. Igitt...

charlie601

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Da ich einmal wieder hier zu Gast bin. Eine Anmerkung zu Delis "Fresswürfelschande" von Dresden. Als waschechter DDer: Der Anblick des Südteils des Altmarktes (Richtung Prager Straße) sieht zum heutigen Zeitpunkt "städtebaulich" noch fragwürdiger aus, als die im 60iger-Desing errichtete Zwingergaststätte am Postplatz. Von der Prager Straße ganz zu schweigen ...

Murphy

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...und wenn man jetzt den ganzen Besserwissern Glauben schenkt, die nur mit Windmühlen Strom erzeugen.... 20 Jahre später grüsst die Steinzeit! Prost Mahlzeit!
charlie601

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Tja, gegenwärtig sieht es leider so aus. Da gibt es auch kein Internet und kein TV mehr. Den Wetterbericht kann man ja noch vom Sonnenuntergang ablesen. Aber, der noch viel wichtigere Börsenbericht und Stand vom DAX wird wohl ersatzlos ausfallen müssen.
limokombi

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@ deluxe

Wer geht hier auf die Barrikaden? Man kann darüber doch vernünftig diskutieren, oder geht das nicht...?

Über den PdR brauchen wir wohl nicht reden, das haben wir schon getan. Die Mehrheit von uns ist ja wohl gegen den Abriß. Aber andererseits im Abriß jeder Platte die Rache des anderen Systems zu sehen ist auch nicht normal! Ich wohne in einer Platte, top restauriert und 16 Etagen hoch. Vielleicht sollte man dabei nämlich auch bedenken, das der Abriß von Plattenbauten durchaus auch mit der demokrafischen Entwicklung zusammen hängen könnte... Ich zweifele auch am Sinn, die Paulinerkirche original wiederaufzubauen, aber ein neues Gebäude mit architektonischen "Erinnerungsfunktionen" an die schöne Kirche ist keine schlechte Idee!

Zum Denkmalschutz vielleicht noch ein Wort, das Feingefühl dafür gibt es beileibe nicht erst seit 30 Jahren! Ich erinnere da nur an Karl Friedrich Schinkel (1781 bis 1841), der hat damit schon "angefangen".

Deluxe

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Das moderne Feingefühl für Denkmalschutz ist aber trotzdem erst in den letzten Jahrzehnten entstanden - sonst wären viele Dinge der 50er und 60er Jahre wohl nicht passiert...

@charlie601:
Wo Du Recht hast, hast Du Recht. Besonders widerwärtig finde ich ja auch die Umbauung des Rundkinos durch den Karstadt-Koofmichtempel. So einen Kinobau gibts nirgendwo ein zweites Mal - und im Gesamtkonzept der Prager Straße (egal, was man grundsätzlich davon hält), wars was Besonderes. Nun siehts keiner mehr...

standard

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Übrigens ist die vergleichende Betrachtung der Abrisse von Kirchen zu Ulbricht´s Zeiten mit dem Abriss des PdR heute ein nettes Beispiel dafür, daß es den oben von Wilhelminus erwähnten "Machtmißbrauch" (hier in architektonischer Hinsicht) eben durchaus auch in intellektuell geführten Regierungen geben soll...Durch die heute komplett veränderte politische Situation finde ich letzteren übrigens erheblich fragwürdiger.

[Bearbeitet von standard (13-04-2006 - 09:08)]

Jabberwockey

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Wer von euch hat denn alles in Berlin gestanden und aktiv in Berlin den Abriss zu verhindern versucht?
Ich glaube, an dieser Stelle ist ein kleiner, aber feiner Unterschied zum Abriss der Paulinerkirche zu sehen.
Wo kein Widerstand ist, muss keine Macht missbraucht werden.
Diskussionen in diversen Internetplattformen werte ich nicht als aktiven Widerstand.
limokombi

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@ standard

"...intellektuell geführten Regierungen...

Wir werden von einer intellektuell geführten Regierung regiert? Da weißt Du mal wieder mehr als ich!

Mal im Ernst, wenn ich (oder auch andere) meine (subjektive) Meinung über die Untaten von diversen DDR-Bonzen äußere, dann müssen nicht gleich alle so tun, als ob ich damit das derzeitig tätige Regime verteidigen würde! Ich werde aber nicht den Fehler machen, nur weil ich mit diversen Sachen die (teilweise) in diesem Staat verbockt werden, alte Zeiten zu rechtfertigen die bestimmt nicht besser waren als das was jetzt ist, bei allen Fehlern. Man sollte sich wohl eher Gedanken machen, wie es besser gemacht werden kann, als sich in eine Traumwelt aus DDR-Erinnerungen zu flüchten, oder nicht ...?

wilhelminus

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Oh, ich liebe es, wenn die Beiträge etwas länger sind...

Die Gnade der späten Geburt ( Helmut Kohl 1984 in Israel – in dem Kontext kein rühmlicher Ausspruch)
"Warum haben so wenig Menschen zwischen 1933 und 1945 Widerstand geleistet" – die Frage der 68’er Generation...
Hinterher ist man immer klüger...
... aber man hat die Möglichkeit, Licht und Schatten zu ergründen. Die "Objektivität" des Historikers - er kann Einsicht nehmen in die Akten der Opfer und der Täter...

„ordinär“ – Lieber Deluxe, Du triffst genau was ich meinte, eben im Sinne der französischen Sprache. Also nicht die Bedeutungsverschiebung im Deutschen hin zu „vulgär“, sondern schlicht und ergreifend „gewöhnlich“
Und Proletarier war er, der Ulbricht, kein Zweifel. Besitzbürger wurde er erst später, Bildungsbürger wurde er nie.

Und weiter:
Stimmt, Ulbricht hat nicht nur abreißen lassen, der hat auch neu bauen lassen. Zum Beispiel ’ne Mauer quer durch ein Land (mit Hilfe seines damals noch willfährigen Oberpolier Honecker – nee, ich weiß daß er Dachdecker war ). Ein ganzes Land unter Arrest und ein paar wenigen Menschen war Freigang gestattet. Na, wenn das nix ist. Man kann also sehen, ich reduziere Ulbricht nicht nur auf einen Abbruchunternehmer.
Tut mir leid, wenn ich das auch noch unter dem Teppich hervorkehren muß...

Andere reduzieren ihn halt auf „Sportskanone“ – Volleyball in weißen Oberhemd, Tischtennis und das Diktum: „Jeder Mann an jedem Ort...“
jeder, zeichnet das (verkürzende) Bild, das ihm gefällt – rein subjektiv.

Apropos Honecker: Ist Euch schon mal aufgefallen, wie schnell jeweils der Nachfolger seinen Vorgänger abserviert hat? DDR genauso wie SU. Bei den kommunistischen Machthabern ist irgendwie der eine des anderen Teufel.
Da gibt es das demütigende Bild mit Ulbricht im Sessel, im Hausmantel, Pantoffeln an den Füßen und Honecker – gönnerhaft – macht ’nen Krankenbesuch.
Keine Straße wurde nach ihm benannt, nur eine Schule – in Leipzig – diese Inkonsequenz mußte man sich erlauben, schließlich hatte der kleine Walter hier die Schulbank gedrückt.
Hat nicht Honecker auch das Haus, vor dem Ulbricht Tischtennis gespielt hat, abreißen lassen?
...und 1989 – das gleiche: Krenz schiebt Honecker aufs Abstellgleis. (ich habe mir sagen lassen, man begegne dem Krenz manchmal an der Ostsee... )

Und noch eins:
Ideale. Mag sein, daß Ulbricht Ideale hatte als er sich noch in Opposition zur herrschenden Klasse befunden hat. Später wurde er ja selbst herrschende Klasse – wie ein kleiner Monarch.
Als die "Gruppe Ulbricht" im Mai 1945 in Berlin erste Schritte unternahm, soll Ulbricht den Satz gesagt haben: "Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben" (In meiner Paperback-Ausgabe von „Die Revolution etläßt ihre Kinder“ auf S.440)
Gut, man kann nun fragen, wie (Achtung) objektiv mag Wolfgang Leonhard sein. Zumindest hat er rechtzeitig erkannt, mit dem Ulbricht möchte er keinen Sozialismus aufbauen. Und sicherte sich so seine Integrität.

Und noch eins - sollte man nicht als gutes Beispiel vorangehen, wenn man den Neuen Menschen und die Neue Gesllschaft erschaffen will?

Die Vielschichtigkeit von Biographien, von Charakteren.
Dessen bin ich mir bewusst. Es gibt da ein Beispiel, das ich gern anführe: der DDR-Schriftsteller Stephan Hermlin. 1961 hat er sich lobend für den Bau der Mauer ausgesprochen, 15 Jahre später bei der Biermann-Ausbürgerung gehörte er zu den Hauptverantwortlichen der Unterschriftensammlung für den unbequemen Liedermacher. Was mag geschehen sein?
Ich bin mir bewußt, daß eine schwarz-weiß-Charakterisierung eines Menschenleben nicht zutrifft, nie zutrifft.

Ihr seht, ich beschäftige mich mit dem Thema schon etwas länger.
Der Vorwurf der Einseitigkeit mag berechtigt sein, was aber bleibt mir übrig, er geschieht nur in Reaktion darauf, was mir unter Ostalgikern begegnet... ich bin somit ein kleiner Reaktionär

... und Ihr könnt vielleicht verstehen, daß ich jedes Mal beim Suppeessen in Dargen etwas verstimmt bin, wenn mir der Ulbricht auf den Teller guckt.

@ poetpoet:
Ich wollte weder Dich noch Deine Gattin noch irgendjemand anders beleidigen, der einen rechtschaffenden Beruf erlernt hat, ausübt usw. (Das sei ferne... sagt der Paulus, und der war ja Handwerker und Intellektueller )

Intellektueller Hochmut? Eigentlich nicht. Weil ich nicht wirklich ein Intellektueller bin, standard hat mal behauptet ich sei einer (ein "relativ waschechter" ). Wer weiß, vielleicht bin ich auch nur "Proll mit Abitur". Ich versuche das etwas zu kaschieren mittels einiger Fremdwörter, der Verwendung des Genitiv und bisweilen höre ich zur eigenen Meinungsbildung auf eine weitere Sichtweise.

Meine beiden Großväter passten übrigens absolut ins Profil des Staates DDR. Der ein war Bauer, der andere Arbeiter (Elektriker). Weswegen meine Eltern uneingeschränkt von den bildungstechnischen Segnungen der Republik profitieren konnten: Abitur und Studium.
Aber du siehst, poetpoet, auch ich entstamme keiner Theologendynastie.

Zum Thema Palast der Republik:
Auch hier wird Kulturbarbarei betrieben, gar keine Frage. Ebenso in Leipzig: Messeamt, Messehaus am Markt usw.
Und dennoch möchte ich hierbei die Argumente der historischen Redlichkeit und der Ästhetik ins Feld führen. (es ist schon Einiges angeklungen)
Denn ich denke, es macht einen Unterschied, ob man eine Kirche, deren Grundstein im 13. Jahrhundert gelegt wurde und keinen Tag ungenutzt herumstand mit viel Getöse sprengt, gegen den Willen so vieler Menschen,
oder ob man eine lausig schlechte Bauhausinterpretation, für deren Erhalt sich eine Minderheit ausspricht, peu a peu abträgt.
Auch ich bin gegen den Abriß des Palastes, jedoch ohne Engagement und Emphase, wie wohl die meisten hier ebenfalls, oder ?

Übrigens, das Bildermuseum ist äußerlich eine architektinische Grausamkeit - und innen: eine ungesunde Mischung aus Speer und Bauhaus, und nach anderthalb Jahren bereits speckig und abgegriffen. Jede Epoche hat eigene Bausünden...
Was den Dresdner Postplatz betrifft - ich vermute mal, der wird nie wieder richtig schön. (Die Erdbeermilch damals im Freßwürfel war echt lecker )

Die Paulinerkirche in diesem Millennium:

Die Unigebäude am Augustusplatz sind wahrlich keine Zirde, auch im Inneren speckig, daß man Sorge haben muß irgendwo kleben zu bleiben...es ist also nicht verkehrt wenn etwas geschähe.

Es ist nicht (mehr) geplant, ein 1:1 Neubau zu errichten.
Der (Nach-)Entwurf von Architekt Egeraat sieht vor, daß die äußere Silhouette an die Kirche (und auch das klassizistische Portal des Uni-Gebäudes des einstigen Augustaeums von Roßbach) erinnert. Der Raum, der sich hinter der Fassade verbergen soll, soll als Aula genutzt werden – und natürlich auch als Gottesdienstraum.
Mit diesem Entwurf wird der Bruch deutlich gemacht, der 1968 geschah. Der Bruch bleibt sichtbar, vielmehr wird sichtbar gemacht – für mich ein Zeichen der Redlichkeit. Redlicher als ein haargenaues Abbild (so schön es anzuschauen wäre) und auf alle Fälle redlicher als ein Totschweigen, es gibt nämlich auch eine Art der (Geschichts-) Fälschung: die des Totschweigens...

Und in diesem Sinne: streiten wir weiter, mit unserer subjektiven Meinung um (scheinbar) objektive Fakten. Das ist gut.
Ich für mein Teil bereite mich jetzt allerdings auf Karfreitag und Ostern vor. Kreuz und Auferstehung. Ich denke, angesichts dessen werde ich keinen Gedanken an Ulbricht verschwenden.
... und nächste Woche diskutieren wir weiter, wenn Ihr noch Lust habt...

Gesegnete Ostern!

Jabberwockey

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Ich bin immer skeptisch, wenn Beiträge länger sind.
Aber der obige gefällt mir - muss ich mal so anerkennen.
Auch von mir ein frohes Osterfest!
Murphy

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Wir bauen auf und reissen nieder... Entscheidend ist was gefällt und was Sinn macht. ( ach so, auch was noch gebraucht wird ) Aber fraglich ist doch immer wer entscheidet? Neuestes Beispiel- City Tunnel in Leipzig. Wird er wirklich gebraucht? Oder ein Prestigeobjekt der jetzt Regierenden. Schon 1915 sollte ein U-Bahn Tunnel gebaut werden. Später Zeitkino. Problem sind die Bodenverhältnisse in der Stadt. Wissen es heute etwa alle Beteiligten besser? Und braucht in vielleicht 20 Jahren überhaut noch jemand dieses heute hochgejubelte zig-Millionenobjekt?
Trotzdem schöne Ostern
Deluxe

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City-Tunnel ist aber wieder was anderes. Die direkte Nord-Süd-Verbindung wird schon gebraucht - spart Reisezeit en masse. Der Grund ist, daß man heute die Technologien hat durch den Leipziger Sumpf einen Tunnel zu graben. 1915 konnte man das noch nicht. Jedenfalls nicht annähernd wirtschaftlich.

Zeit wirds, denn immer um die ganze Stadt zu gondeln ist im Zeitalter der Konkurrenz zwischen Schiene und Straße sicher nicht wirklich wettbewerbstauglich.

Murphy

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Ich trau dem Frieden totzdem nicht. Aber ich muss das nicht verantworten.
poetpoet

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@wilhelminus: Jaja, ist klar, hab mich nie beleidigt gefühlt, hätte ein paar smileys einbauen sollen, um den herzlichen Tonfall meiner Rede zu verdeutlichen. Alles ist gut! äm, heißt es eigentlich: "Verwendung des Genitiv" oder nicht viel eher: "Verwendung des Genitivs" !?
Deluxe

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In Sachsen heißt das:
Verwendung von dem Genitiv.

"Der Dativ ist dem Genitiv sein Feind" - dieses Buch kann ich ausdrücklich empfehlen.

[Bearbeitet von Deluxe (13-04-2006 - 23:21)]

standard

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Zitat Wilhelminus: "Apropos Honecker: Ist Euch schon mal aufgefallen, wie schnell jeweils der Nachfolger seinen Vorgänger abserviert hat? DDR genauso wie SU. Bei den kommunistischen Machthabern ist irgendwie der eine des anderen Teufel." (Zitat Ende)

Und - ist es heute wirklich anders?! Hätte man von Schröder noch irgendetwas gehört, wenn er nicht so "unauffällig" und, mit zumindest angedachter, staatlicher Bürgschaft bei Gasprom eingestiegen wäre? - Nee-hätte man nicht! Fischer, Eichel & Co - selbst Kohl, alle sanft in der Versenkung verschwunden...

@Jabber: "Wo kein Widerstand ist, muss keine Macht missbraucht werden."
- Soweit ich weiß, gab es eine Menge Widerstand gegen den Abriß des PdR - Bürgerinitiativen, Live-Diskussionen im RBB etc.. Nur sind die halt alle gegen eine Wand gelaufen, das war längst beschlossene Sache...
Es ist m.E. nach wie vor mit nichts zu begründen, daß ein derartig geschichtsträchtiger Ort
(Proteste zum 40.Jahrestag, denkwürdige Volkskammersitzungen und -beschlüsse, "Zentrale" der 1.freien Wahlen etc.pp.) sang- und klanglos abgerissen wird, noch dazu bei völlig unklarer Nachnutzung des Areals. Gar nicht davon zu reden, was die Errichtung des Gebäudes einmal gekostet hat und wie vielfältig es nutzbar gewesen wäre. (vielfältiger als jede Kirche übrigens - wenn der Einwurf gestattet ist )
Wenn dieser willkürliche Abriss also nicht an besagten "Machtmißbrauch" grenzt - was bitte dann?
Ach so - auch von mir noch frohes Osterfest.

[Bearbeitet von standard (14-04-2006 - 02:02)]

Deluxe

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Fragt sich, was Herumstehen auf dem Marx-Engels-Platz mit Widerstand zu tun gehabt hätte. Aber die großen Idealisten hätten wahrscheinlich diverse anrollende Abrißtechnik mit Holzknüppeln und Transparenten aufgehalten...
standard

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Vermutlich... Und sich zum Walter gemacht, sozusagen.
Murphy

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Walther oder nicht. Geändert hat sich im Prinzip eigentlich nichts.
wilhelminus

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So, da bin ich wieder...

Der Genitiv des genitivus heißt genitivi...
Du hast recht, poetpoet, ich habe sogar noch mal nachgeschlagen. (gerade im Blick auf Römer 1,17 müßte ich Kenner des Genitivs sein)

@ standard:
Wenn in einer Demokratie ein Führungswechsel meist mit einem Wechsel der regierenden Partei einhergeht, grenzt man sich natürlich vom Vorgänger ab. Die Minister werden ausgewechselt, wer sollte sich noch für die alten interessieren.
Kohl ist aufgrund seines "Ehrenworts" und Schröder wegen des "Mitnahmeverdachts" in Ungnade gefallen.
Wenn aber die SED/KPdSU an der Macht bleibt, warum wird der Amtsvorgänger dann gleichsam verdammt? Man saß doch im selben Boot?
Abgesehen davon gibt es vielerorts in Deutschland Willy-Brandt-Plätze und Adenauer-Alleen. Aber Honecker, Ulbricht...?

Vielseitigkeit und vielfältige Nutzbarkeit ist natürlich DER Vergleichspunkt für den Palast und jedwede Kirche, lieber standard. Vielleicht ist sogar ein Hangar noch vielseitiger. Da könnte man Gottesdienste veranstalten, Verdienstorden austeilen, und ...das Beste... sogar ein Flugzeug parken.

Ist der Sozialismus nun gescheitert?
Der in Rußland und der in Europa irgendwie schon.
Es gab ja mal in der CSSR einen vielversprechenden Reformversuch. Wurde vereitelt, von den eigenen Leuten. Hier dürfte der Phantomschmerz einiger Ost-68'er liegen.
Aber es gibt ja noch China und Nordkorea. Vielleicht keine leuchtenden Beispiele, gut.
Aber dann ist da die kleine Insel in der Karibik, die so ein alter, bärtiger Mann regiert. Kuba ist armes Land keine Frage, aber gemessen an mittelamerikanischen Verhältnissen... Kuba sendet sogar gut ausgebildete Ärzte in andere Länder Lateinamerikas. Wollen wir hoffen, daß hier das Scheitern noch lange auf sich warten läßt.

[Bearbeitet von wilhelminus (19-04-2006 - 11:44)]

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